JournalistInnen sprechen sich für Julian Assange aus

Julian Assange, Gründer und Herausgeber von WikiLeaks, ist derzeit im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Vereinigten Königreich inhaftiert und steht vor der Auslieferung an die Vereinigten Staaten und der Strafverfolgung unter dem Spionageakt. Für sein Mitwirken an der Veröffentlichung von US-Militärdokumenten aus Afghanistan und dem Irak sowie Teilen der Kommunikation vom US-Außenministerium droht ihm eine Gefängnisstrafe von bis zu 175 Jahren. Die „Kriegstagebücher“ liefern den Beweis, dass die US-Regierung die Öffentlichkeit über Aktivitäten in Afghanistan und im Irak irregeführt und Kriegsverbrechen begangen hat. WikiLeaks arbeitete weltweit mit einer Vielzahl von Medienunternehmen zusammen, welche die „Kriegstagebücher“ und Ministeriumsnachrichten veröffentlichten. Die gegen Assange eingeleiteten Gerichtsverfahren schaffen somit einen extrem bedenklichen Präzedenzfall für JournalistInnen, Medienorganisationen und die Pressefreiheit.

Wir, JournalistInnen und journalistische Organisationen weltweit, bringen unsere große Besorgnis über das Wohlergehen von Julian Assange, über seine fortdauernde Inhaftierung und über die drakonischen Spionageanklagen zum Ausdruck. Dieser Fall steht im Mittelpunkt des Grundsatzes der freien Meinungsäußerung. Wenn die US-Regierung Assange wegen der Veröffentlichung von geheimen Dokumenten strafrechtlich verfolgen kann, könnte dies den Weg für Regierungen frei machen, Journalisten überall zu verfolgen. Ein alarmierender Präzedenzfall für die Pressefreiheit weltweit. Dass Personen wegen Spionage angeklagt werden, weil sie Materialien veröffentlicht haben, die von Whistleblowern zur Verfügung gestellt wurden, ist eine Neuheit und sollte alle JournalistInnen und VerlegerInnen alarmieren.

In einer Demokratie müssen JournalistInnen Kriegsverbrechen sowie Fälle von Folter und Missbrauch aufdecken dürfen, ohne dafür bestraft zu werden. Dies ist die ureigene Rolle der Presse in einer Demokratie. Wenn Regierungen Spionagegesetze gegen JournalistInnen und Verlage anwenden können, dann werden diese ihrer wichtigsten Verteidigung beraubt – nämlich des Handelns im öffentlichen Interesse. Diese Kontrolle fällt unter kein Spionagegesetz.

Vor seiner Verlegung in das Gefängnis von Belmarsh verbrachte Herr Assange mehr als ein Jahr unter Hausarrest und anschließend sieben Jahre in der ecuadorianischen Botschaft in London, wo er politisches Asyl erhalten hatte. Während dieser Zeit wurde er schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, einschließlich der Tatsache, dass, auf direkte Weisung von US-Behörden hin, seine rechtlich geschützten Gespräche von Behörden abgehört wurden. Journalisten, die zu Besuch waren, wurden einer umfassenden Überwachung unterzogen. Er hatte nur eingeschränkten Zugang zu rechtlicher Verteidigung und medizinischer Versorgung, außerdem wurde ihm Zugang zu Sonnenlicht und das Sporttreiben verwehrt. Im April 2019 erlaubte die Regierung von Ecuador den britischen Strafverfolgungsbehörden, die Botschaft Ecuadors zu betreten und Herrn Assange festzunehmen. Seitdem wird er bis zu 23 Stunden am Tag in Einzelhaft gehalten und erhält laut Besuchern „starke Medikation“. Seine körperliche und geistige Gesundheit hat sich ernsthaft verschlechtert.

Bereits 2015 stellte die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen für willkürliche Inhaftierung (WGAD) fest, dass Herr Assange willkürlich inhaftiert und seiner Freiheit beraubt wurde, und forderte seine Freilassung und Entschädigung. Im Mai 2019 bekräftigte die WGAD ihre Bedenken und forderte die Wiederherstellung seiner persönlichen Freiheit.

Wir machen die Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, des Vereinigten Königreichs, Ecuadors und Schwedens für die Menschenrechtsverletzungen verantwortlich, denen Herr Assange ausgesetzt ist.

Julian Assange hat einen herausragenden journalistischen Beitrag im öffentlichen Interesse geleistet, zur Transparenz und zur Rechenschaftspflicht der Regierungen auf der ganzen Welt. Er wurde herausgegriffen und strafrechtlich verfolgt, weil er Informationen veröffentlicht hat, welche der Öffentlichkeit nie hätten vorenthalten werden dürfen. Seine Arbeit wurde mit dem Walkley Award for Most Outstanding Contribution to Journalism 2011, dem Martha-Gellhorn-Preis für Journalismus, dem Index on Censorship Prize, dem Economist’s New Media Award, dem Amnesty International New Media Award, dem Gavin MacFadyen Award 2019 und vielen anderen ausgezeichnet. WikiLeaks wurde auch für den UN Mandela-Preis 2015 und für den Friedensnobelpreis siebenmal nominiert (2010-2015, 2019).

Herr Assanges Berichterstattung über Missstände und Verbrechen ist von historischer Bedeutung, ebenso wie die Beiträge der Whistleblower Edward Snowden, Chelsea Manning und Reality Winner, die sich jetzt im Exil befinden oder inhaftiert sind. Sie alle sahen sich unerbittlichen Schmierkampagnen ihrer Gegner ausgesetzt. Kampagnen, die oft zu irrtümlichen Medienberichten und damit zu mangelnder Kontrolle und Berichterstattung über ihre Zwangslagen geführt haben. Der systematische Missbrauch der Rechte von Herrn Assange in den letzten neun Jahren wurde vom Committee to Protect Journalists, der Internationalen Journalistenvereinigung und führenden Menschenrechtsorganisationen aufgegriffen und verurteilt. Aber in der öffentlichen Diskussion hat es eine schleichende Normalisierung der Art und Weise gegeben, wie er behandelt wurde.

Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter Nils Melzer untersuchte den Fall und schrieb im Juni 2019:

Es dämmerte mir schließlich, dass ich durch Propaganda geblendet worden war, und dass Assange systematisch verleumdet worden war, um die Aufmerksamkeit von den Verbrechen abzulenken, die er aufgedeckt hatte. Nachdem er durch Isolation, Spott und Scham entmenschlicht worden war, wie die Hexen, die wir auf dem Scheiterhaufen verbrannt hatten, war es leicht, ihm seine grundlegendsten Rechte zu entziehen, ohne die Öffentlichkeit weltweit zu empören. Und so wird ein rechtlicher Präzedenzfall geschaffen, durch die Hintertür unserer eigenen Selbstgefälligkeit, der in Zukunft ebenso gut auf Veröffentlichungen von The Guardian, der New York Times und ABC News angewendet werden kann und wird“.

Indem die Regierungen Schwedens, Ecuadors, des Vereinigten Königreichs und der USA eine Haltung der Selbstgefälligkeit und im schlimmsten Fall der Mittäterschaft an den Tag legten, haben sie eine Atmosphäre der Straffreiheit geschaffen, welche die ungehemmte Verunglimpfung und den Missbrauch von Herrn Assange förderte. In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um ein einzelnes Individuum so lange Zeit und unter so geringer Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu dämonisieren und zu misshandeln.“

Im November 2019 empfahl Melzer, die Auslieferung von Herrn Assange an die USA zu verhindern und ihn unverzüglich freizulassen. „Er wird weiterhin unter repressiven Bedingungen der Isolation und Überwachung festgehalten, die durch seinen Inhaftierungsstatus nicht gerechtfertigt sind […] Dass Herr Assange anhaltender Willkür und Missbrauch ausgesetzt ist, könnte bald sein Leben kosten“, sagte Melzer.

1898 schrieb der französische Schriftsteller Émile Zola den offenen Brief J’accuse…! (Ich klage an). Darin warnt er davor, einen Militäroffizier namens Alfred Dreyfus wegen Spionage unrechtmäßig zu lebenslanger Haft zu verurteilen. Zolas Haltung ist in die Geschichtsbücher eingegangen und steht auch heute noch für unsere Pflicht, Justizirrtümer zu bekämpfen und die Mächtigen zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Pflicht ist unverzichtbar wie nie zuvor, wenn Julian Assange zum Opfer von Regierungen wird und nach dem US-Spionagegesetz, einer Gesetzgebung, die ebenfalls über hundert Jahre alt ist, mit 17 Anklagen konfrontiert wird1.

Als JournalistInnen und Journalistenorganisationen, die an die Menschenrechte, die Informationsfreiheit und das Recht der Öffentlichkeit auf Information glauben, fordern wir die sofortige Freilassung von Julian Assange.

Wir fordern unsere Regierungen, alle nationalen und internationalen Behörden und JournalistInnen auf, ein Ende der Kampagne zu fordern, die wegen des vermeintlichen Verbrechens der Aufdeckung von Kriegsverbrechen gegen ihn geführt wird.

Wir fordern unsere JournalistenkollegInnen auf, die Öffentlichkeit genau und sorgfältig über diesen Missbrauch der Grundrechte zu informieren.

Wir fordern alle JournalistInnen auf, sich in dieser kritischen Zeit zur Verteidigung von Julian Assange zu äußern.

Gefährliche Zeiten erfordern einen furchtlosen Journalismus.

1 Im Rahmen einer anderen Rechtsprechung gibt es noch eine Anklage, was dann insgesamt 18 Anklagen zusammen macht.

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